Eine UX-Vision ist ein gutes Mittel, um eine Ausrichtung für die Produktgestaltung zu definieren und unternehmensweit zu kommunizieren. Es geht dabei nicht etwa um die möglichst genaue Definition der Produktgestaltung, sondern um eine Beschreibung der wichtigsten Gestaltungsprinzipien. Diese bilden die grundlegenden Leitplanken für die Produktgestaltung. Sie besteht daher im Wesentlichen aus einzelnen UX-Prinzipien.
A UX vision is a short statement or visualization that communicates the essence of the experience you are attempting to enable for users, customers, or guests. Your UX vision provides a way of gaining collective agreement about strategic direction, so all of the members of a product team—collectively or independently—can make decisions that are consistent with that overall direction. The UX vision can also serve as an elevator pitch and acts as a beacon, providing guidance to other people about where you and your team are headed.” – Steve Baty, Principal of Meld Studios; Vice President of IxDA
Eine UX-Vision dient zur Definition der Richtung und des Entscheidungsspielraums für die Produktgestaltung. Sie soll dabei aber nicht nur regulierend, sondern auch inspirierend und als Messlatte für Designentscheidungen dienen. Dies wird dadurch erreicht, dass die UX-Prinzipien deutlich weiter gefasst sind als herkömmliche Styleguide-Regeln. Sie orientieren sich außerdem mehr am Erlebnis des Nutzers. Ein Beispiel:
- Styleguide-Regel: “Auf einem Screen dürfen maximal 5 Funktionen platziert werden.”
- UX-Prinzip: “Unsere Bedienoberflächen bieten den Anwendern alle Funktionen, die für den jeweiligen Arbeitsablauf notwendig sind. Sie sind aber trotzdem einfach.”
Gestaltungsprinzipien lassen mehr Freiräume, die in Kombination mit gestalterischem Fachwissen, neue kreative Kräfte freisetzen.
By defining your UX vision, you set a standard by which you can evaluate every decision you make along the way and judge whether it supports, enhances, or detracts from that vision.” – Pabini Gabriel-Petit, Principal User Experience Architect at BMC Software
Auch wenn das jetzt hier so schön und einfach klingt: in der Praxis genügt es nicht, einfach sinnvolle Prinzipien aufzuschreiben. Die UX-Vision muss so entstehen, dass sie von Anfang an von allen wichtigen Beteiligten getragen wird und von diesen im Unternehmen vertreten wird. Eine UX-Vision funktioniert dann gut, wenn sie von vielen Personen im Unternehmen verinnerlicht wird. Dazu muss sie nicht nur sehr einfach sein, sondern auch von vielen mit Überzeugung wiederholt kommuniziert werden.
Für die Erarbeitung meiner letzten UX-Vision habe ich mich an einem Workshop-Format orientiert, welches die Siemens-Fachkollegen Birgit Kutscher, Reinier Kortekaas und Markus Roßmeier in einer Veranstaltung des UX Stammtisch Franken vorgestellt hatten. Dieses Workshop-Format liefert zum einen Attribute und Prinzipienvorschläge für die Definition der UX-Prinzipien. Zum anderen trägt es – mit der richtigen Wahl der Workshopteilnehmer – gleich dazu bei, dass die UX-Prinzipien keine aus der Luft gegriffenen Sätze, sondern im Unternehmen tragfähige Richtlinien sind. Ich habe mit diesem Format sehr gute Erfahrungen gemacht und möchte es Euch daher gern weitergeben.
Zuerst müsst Ihr überlegen, welche Personen im Unternehmen am meisten zur Erarbeitung und zur Verbreitung der UX-Vision beitragen können. In großen Unternehmen sind diese in der Regel weder im oberen Management noch auf Mitarbeiter-Ebene zu finden. Meist sind es Personen aus dem mittleren Management, die über die notwendigen Fach- und Produktkenntnisse, eine strategische Sichtweise, ein geeignetes Kommunikations-Netzwerk sowie die notwendige Glaubwürdigkeit bzw. Standing im Unternehmen verfügen. In meinem Fall nahmen Team- und Abteilungsleiter aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens sowie Vertreter von Querschnittsthemen, wie z.B. Marktforschung, teil. Das Workshop-Format eignet sich für Gruppen von 12 bis 21 Teilnehmer. Es werden einen Hauptmoderator sowie 4 Co-Moderatoren benötigt.
Zur Vorbereitung hatten wir:
- zahlreiche Bilder von Gegenständen in unterschiedlichen Designstilen mehrfach ausgedruckt und an Metaplanwände gehängt.
- Vorlagen-Blätter für eine Erfolgsgeschichte entwickelt.
- Materialien wie Stifte, zahlreiche Metaplanwände, Papier, Klebepunkte in grün und rot, weiße beschriftbare Kartons sowie eine Kamera bereitgestellt.
- Notizbücher besorgt, in die wir zum Schluss die Designprinzipien geschrieben haben und sie als Geschenk jedem Teilnehmer überreicht haben.
Der Ablauf war dann wie folgt:
- Begrüßung und Einstimmung auf das Thema (20 min): Dieser Schritt dient dazu den Teilnehmern zu erläutern, warum eine UX-Vision entwickelt werden soll und was sie nutzt.
- Die Erfolgsgeschichte (20 min): Jeder Teilnehmer schreibt eine Erfolgsgeschichte über die Produkte auf und beantwortet dabei die Frage: “Über welche Eigenschaften unserer Produkte würden sich unsere Kunden in 10 Jahren freuen und darüber ihren Kollegen berichten?”.
- Bilder bewerten (30 min): Jeder Teilnehmer erhält 10 grüne und 10 rote Klebepunkte. Die Aufgabe besteht dann darin die ausgedruckten Bilder, nach folgendem Schema zu bewerten: grün = so möchte ich, dass unsere Kunden unsere Produkte in 10 Jahren sehen; rot = so möchte ich unsere Produkte nicht sehen; kein Punkt = dazu habe ich keine Assoziation.
- Die Teilnehmer werden in Gruppen zu je 3-4 Personen aufgeteilt.
- Bilder gruppieren (30 min): Die Moderatoren gruppieren die Bilder nach der Farbe der Klebepunkte. Es werden nur Bilder mit min. 3 Klebepunkten ausgewählt. So entstehen 3 Gruppen (grün, gemischt und rot). Für jede Gruppe wird je ein Stapel mit allen “grünen” Bilder zusammengestellen. Die Teilnehmer machen in dieser Zeit Pause.
- Adjektive finden (30-45 min): Jede Gruppe sammelt auf Basis dieser Bilderstapel Adjektive. Pro Bild wird je ein Adjektiv aufgeschrieben, welches die Eigenschaft des abgebildeten Gegenstandes beschreibt, die für die zukünftige Produktgestaltung von der Gruppe als sinnvoll erachtet wird. Beispiel: Ein Bild mit einem Fahrrad kann zu dem Adjektiv “nachhaltig” führen. Danach werden die gesammelten Adjektive gruppiert und für die Adjektivgruppen Überbegriffe vergeben. Jede Gruppe wurde von einem Moderator begleitet. Dieser stand für methodische Fragen zur Verfügung und achtete auf die Zeit. Die Moderatoren haben sich nicht an der inhaltlichen Diskussion beteiligt.
- Konsolidierung (je Gruppe ca. 10-15 min): Die Überbegriffe werden durch die einzelnen Gruppen vorgestellt. Jede Gruppe notiert sich dabei die Begriffe, die die eigene Sammlung optimal ergänzen.
- Slogans finden (ca. 20-40 min): Jede Gruppe erstellt nun auf Basis der Überbegriffe möglichst viele Slogans. Die Slogans beschreiben eine Eigenschaft des Produktes oder ein Erlebnis der Anwender. Die besten Slogans der Gruppe werden auf Metaplanwände gepinnt. Die Überbegriffe müssen dabei nicht 1:1 in den Slogans auftauchen. Jede Gruppe wurde dabei wieder von einem Moderator begleitet.
- Slogans sichten und bewerten (20 min): Alle Slogans aus allen Gruppen werden nun von allen Teilnehmern mit Klebepunkten bewertet.
- Produktverpackung erstellen (40 min): Es werden neue Gruppen mit 2-3 Teilnehmern gebildet. Diese gestalten und beschriften dann mit Hilfe von zwei bis drei Slogans die zukünftige und fiktive Verpackung der Produkte. Es werden dabei die Slogans ausgewählt, die am besten die wesentlichen Botschaften vermitteln. Dieser Schritt dient zur finalen Priorisierung der Slogans.
- Präsentation (Je Gruppe ca. 5 min): Jede Gruppe stellt ihre Produktverpackungen vor.
- Reflektion (15 min für das Aufschreiben + Zeit für die Diskussion in der Gruppe): Jeder Teilnehmer notiert auf einem Blatt welche Slogans zur Erfolgsgeschichte passen, die er/sie eingangs geschrieben hatte, und denen er/sie zustimmt. Auf einem anderen Blatt notiert er/sie die Einwände zu einzelnen Slogans.
- Zusammenfassung & Ausblick (30 min): Am Ende werden die Ergebnisse des Workshops zusammengefasst und das weitere Vorgehen besprochen. Für die Kommunikation der UX-Vision solltet Ihr dann noch ein Gruppenfoto machen.
Nach dem Workshop haben alle Moderatoren die Ergebnisse nochmals analysiert – insbesondere die Erfolgsgeschichten und Reflektionsergebnisse. Es wurden dann die Slogans herausgefiltert, die am höchsten bewertet wurden. Diese wurden noch etwas ausführlicher beschrieben und mit Beispielumsetzungen visualisiert. Damit waren die UX-Prinzipien fast fertig. Sie wurden dann nochmals mit allen Teilnehmern abgestimmt und im Unternehmen kommuniziert.
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