Katrin Proschek (Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg) hat in ihrem Vortrag auf dem User Experience Stammtisch Franken (German UPA) ihre Erfahrungen mit Usability Testing in Äthiopien vorgestellt.
In Äthiopien – ein Land mit einer Jahrtausende alten Geschichte – finden sich 80 Ethnien mit teilweise eigenen Sprachen sowie islamische und christliche Glaubensrichtungen. Außerdem gibt es sehr starke soziale Unterschiede. In Äthiopien besitzen auf 100 Einwohner nur 4 ein Telefon (Mobil- oder Festnetz). Was nach Ansicht von Katrin Proschek u.a. darin begründet ist, dass die Nutzung von Mobiltelefonen stark reglementiert ist. Bei Computern sieht es noch schlechter aus – hier hat nur 1 Einwohner von 100 einen Computer (Desktop oder Laptop). Nur 0,4 Einwohner haben Zugang zum Internet.
Der Usability Test wurde an der Adama Universität – einer Uni nach deutschem Vorbild – mit ca. 2.200 Mitarbeitern und ca. 20.000 Studierende durchgeführt. Die Studienschwerpunkte reichen von IT über Gesundheit bis Landwirtschaft. Im Vergleich zu den Zahlen von oben: die Uni verfügt über ca. 1.400 PCs und Laptops. Die Uni bot zum damaligen Zeitpunkt 15 eLearning-Kurse über Moodle (Lernmanagementsystem) an, die von 1382 Anwendern benutzt wurden.
Ziel des Usability Tests war es das Adama Lernmanagementsystem mit 8 Probanden (Alter 17 – 22) auf Gebrauchstauglichkeit zu untersuchen und zu verbessern. Die Fragen des Leitfadens wurden auf Englisch formuliert. Zur Unterstützung wurden zusätzliche Aufgabenkarten verwendet.
Zentrale Erkenntnisse zu interkulturellen Faktoren waren u.a.:
* Die Usability Ergebnisse des Tests waren mit denen von deutschen Probanden in etwa vergleichbar.
* Eine deutsche Dozentin wirkte als Interviewer auf die Befragten eher einschüchternd. Das Verhältnis zwischen Dozent und Student ist eher ein einseitiges, was vom Dozenten zum Studenten geht – aber nie umgekehrt. Was dazu führte, dass die Testpersonen ihre Gedanken nicht verbalisierten (Lautes Denken)
* Beim Testing selbst hat sich herausgestellt, dass Englisch bei den Studierenden nicht so verbreitet wie gedacht. Die Fragen mussten beim Testing vom äthiopischen Testkollegen in die Landessprache übersetzt werden. Durch den äthiopischen Übersetzer kamen Erläuterungen in die Fragestellungen, die die Testergebnisse stark verfälschten. Die Zusammenarbeit mit einheimischen Usability Experten ist daher ein Muss.
* Die Interviewmethoden der einheimischen Usability Experten können sich dabei sehr stark von den aus dem europäischen Raum gewöhnten Methoden unterscheiden.
* Auf Videoaufzeichnungen musste verzichtet werden, da die Studierenden diese nicht akzeptierten und der Strom nicht zuverlässig zur Verfügung stand.
* Mit der Bedienung von Maus und Tastatur waren die Probanden nicht wirklich vertraut. Beispielsweise kannten 6 von 8 Probanden das Scrollrad der Maus nicht. Die Gründe liegen sehr wahrscheinlich darin, dass die Tastaturen der Uni-PCs nicht in Landessprache sondern in vielen unterschiedlichen Sprachen waren und dass immer 4 bis 5 Studenten einen PC in der Ausbildung gleichzeitig gemeinsam benutzen.
Weitere interessante Details zu Usability Testing in Äthiopien finden sich in den Vortragsfolien auf ux-franken.mixxt.de.
An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Katrin Proschek für den interessanten Vortrag, Astrum IT für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und den Teilnehmern des UX Stammtisches Franken für die rege Diskussion.
Siehe auch
Vortragsfolien auf ux-franken.mixxt.de (nur für Mitglieder des UX Stammtisches)
UX Stammtisch Franken
German UPA