Unmoderierte Remote Usability Tests – Sinn oder Unsinn

Usability Testing ist toll. Allerdings kostet es viel Geld, wenn man es richtig machen will. Ein großer Kostenfaktor ist der Interviewer bzw. Usability-Experte. Weitere Kostenfaktoren sind die Testpersonenrekrutierung, die Incentivierung sowie das kostspielige Labor.

Das hat einige Unternehmen auf die Idee gebracht, genau dort anzusetzen und mit billigen unmoderierten Remote Usability Tests Geld zu verdienen. Und wie mir scheint, ist diese Idee gerade sehr angesagt, denn diese Dienste schießen wie Pilze aus dem Boden.

Nun sieht die Idee der unmoderierten Remote Usability Tests auf den ersten Blick richtig gut aus: zwei Testpersonen für ca. 40 EUR und die Ergebnisse in 24h. Gerade wenn man bedenkt, dass ein klassischer Labor Usability Test mal schnell 1.000 EUR pro Testperson kosten kann und der Bericht bis zu einer Woche braucht.

Das dachten sich wohl auch einige der Anbieter als sie mich mit der Bitte anschrieben, ob ich nicht ihren Service auf meinem Blog bewerben könnte. Einer war sogar so nett mir ein kostenloses Kontingent für zwei Testpersonen anzubieten.

Gute Idee, dachte ich mir, da kann ich das ja mal live ausprobieren. Aber irgendwie bin ich gar nicht soweit gekommen. Unmoderierte Remote Usability Tests werden in der Regel mit “durchschnittlichen Internetnutzern” durchgeführt. Bei der Suche nach einem geeigneten Anwendungsbeispiel für einen kleinen Test, bin ich dann genau an dieser Frage hängen geblieben: welche Aussagekraft hat die Meinung von durchschnittlichen Internetnutzern? Gibt es das überhaupt und interessiert sich jemand für deren Meinung? Interessiert es einen Spirituosen-Onlineshop was der durchschnittliche Internetnutzer über seine Seite sagt? Ist es für den nicht viel interessanter, was ein 40jähriger Internetnutzer mit einem Faibel für guten Whisky und hohem Einkommen, über seine Seite sagen? Oder der hippe Mode-Onlineshop: ist dort die Meinung des durchschnittlichen Internetbenutzers interessant … oder nicht doch eher die Meinung einer 20jährigen-Internetnutzerin, die ihre neuen Hosen gern online kauft und sich für exakt den Stil der Mode im Shop interessiert? Oder der Buch-Onlineshop … oder der Outdoor-Onlineshop … oder, oder, oder.

Im Ergebnis habe ich schlicht kein sinnvolles Anwendungsbeispiel für einen unmoderierten Remote Usability Test mit durchschnittlichen Internetnutzern gefunden. Und das, obwohl ich normale synchrone und asynchrone Remote Usability Tests methodisch klasse finde.

Irgendwie zwängt sich mir beim Gedanken an den “durchschnittlichen Internetnutzer” der Vergleich mit Testtouristen auf – also professionellen Testpersonen, die sich für das Incentive heute als Whisky-Liebhaber, morgen als Hosen-kaufende-Internetnutzerin, übermorgen als Buch-Fetischist und nächste Woche als Extrem-Bergsteigerin ausgeben.

Ich denke es macht an dieser Stelle Sinn nochmals zu beleuchten, warum wir überhaupt Usability Tests machen. Es geht doch im Grunde darum zu überprüfen, ob das, was wir unseren Kunden bzw. Anwendern anbieten, von diesen – und nur von diesen – verstanden, akzeptiert, geliebt, usw. wird. Es geht darum, die eigene Zielgruppe zu verstehen, für die man eine Leistung erbringt oder ein Produkt entwickelt. Es geht darum, die zu verstehen, die die Leistung oder das Produkt kaufen sollen. Es geht darum, durch ein tiefes Verständnis der eigenen Zielgruppe erfolgreicher zu werden. Es geht nicht darum, zu erfahren, ob meine Webseite von einem durchschnittlichen Internetnutzer gemocht oder verstanden wird.

Von daher: Spart bei der Aufzeichnung, am Labor, an der Spiegelscheibe, an den bequemen Beobachtersesseln, an den Snacks, am Incentive … aber nicht bei der Qualität der Testpersonen. Denn wenn die Testpersonen für die Zielgruppe nicht repräsentativ oder zumindest ähnlich sind, kann man sich den unmoderierten Remote Usability Test getrost sparen. Da ist es viel günstiger und einfacher den Kollegen im Nachbarbüro nach seiner Meinung zu fragen … klassischer “Flurtest” eben.

War dieser Artikel hilfreich für Dich?

Kommentarfunktion geschlossen.

Nach oben scrollen