World Usability Congress – Industrial UX #day1 #wuc

Der World Usability Congress in Graz begann für mich mit dem Focus Event zu „Industrial UX“. Die wesentlichen Erkenntnisse aus den Vorträgen des ersten Tages waren für mich:

„From virtual to reality“ – Thomas Bayer

Gutes UX Design hilft dabei, dass B2B- und Industrieunternehmen trotz  Fachkräftemangel passendes Personal finden. Einfach zu bedienende Maschinen und Software erfordern weniger Fähigkeiten und Erfahrungen. Das vergrößert die Chancen der Unternehmen ihre offenen Stellen besetzen zu können.

Herausforderungen für UX im Industriebereich sind Lebenszyklen, Updates, das Zusammenspiel von Hardware & Software sowie Zukunftsorientierung in UX Research, visueller Gestaltung und Hardware. Die Lebenszyklen von B2B-Produkten sind 10 bis 15 Jahre lang. Updates lassen sich viel schwerer in Industrieumgebungen implementieren. Updates in einem agilen 2-Wochen-Takt sind im Industrieumfeld selten möglich. Durch die Verbindung von Hardware & Software sind die digitalen Veränderungsmöglichkeiten oft beschränkt. Das Umsetzen von Verbesserungen ist daher ungleich komplexer und dauert viel länger, als bei B2C-Produkten.

Um in diesem Umfeld eine gute UX erzeugen zu können, betonte Thomas die Wichtigkeit von zukunftsorientiertem UX Research im Industrieumfeld. UX Researcher:innen müssen nicht nur die Anwendungsszenarien und Personas im IST, sondern auch für die Zukunft betrachten. Im Produktdesign gilt es eine visuelle Gestaltung zu finden, die in 10 Jahren noch attraktiv ist und nicht aktuellen Trends hinterher zu rennen.

“Manufacturing Experience Design” – Tim Scanlon

Tim stellte das CX Programm von Rockwell Automation vor. Rockwell Automation ist ein großes Unternehmen, welches sich mit Prozessautomatisierung im industriellen Kontext beschäftigt. Mit dem CX Programm soll die Kundenorientierung des Unternehmens gesteigert werden. Es wird vom Marketing-Bereich (CMO) des Unternehmens verantwortet. Das CX Programm wurde eng mit den Unternehmenszielen verknüpft. Die Ziele sind die Steigerung des Verständnisses für Kund:innen im Unternehmen und ein besseres Verständnis von den Treibern für Loyalität. Das soll durch eine Vereinfachung der Kundenerlebnisse erreicht werden, da das die Produktivität steigern kann. Die konkreten Maßnahmen, die in dem CX Programm bearbeitet werden, werden aus den konkreten Pain Points und Bedürfnissen von Kund:innen abgeleitet.

Zur Verbesserung des Verständnis für Kund:innen nutzt Rockwell Automation Personas, Journeys und Service Blueprints. In Journeys betrachten sie sowohl die Erlebnisse von Kund:innen als auch von Partnerunternehmen. Journeys werden nicht als einzelne statische Prozesse gedacht. Sie werden dynamisch je nach Zielgruppe aus einzelnen Teil-Journeys zusammengesetzt. In den Journeys nutzt Rockwell Automation Metriken nach dem Modell von Forrester. Dieses basiert auf unterschiedlichen Metriken für Ergebnis, Interkation und Wahrnehmung. Sie nutzen folgende Metriken:

Die Journey Dashboards sehen bei Rockwell Automation so aus:

“Applying the Behavioural Sciences to Operating Procedures” – Klaus Hofer

Richtlinien, Prozessanweisungen, Hilfedokumente und Anleitungen sollten nicht als Dokumente verstanden werden, die Menschen informieren. Es genügt nicht, dass diese Dokumente gut geschrieben, inhaltlich vollständig und rechtlich korrekt sind.

Diese Dokumente, sollen dazu führen sollen, dass die Menschen ihre Verhaltensweisen danach ausrichten. Deshalb müssen sie so gestaltet sein, dass sie zu den menschlichen Verhaltensweisen und kognitiven Fähigkeiten von Menschen passen.

Dabei gibt es einen Unterschied im Verhalten von Anwender:innen und Leser:innen. Leser:innen lesen Bücher aus Neugier oder um etwas zu lernen. Sie tun das in einer ruhigen Umgebung. Anwender:innen lesen Anleitungen, um eine Aktion auszuführen. Sie stehen dabei mehr oder weniger unter Druck diese Aktion erfolgreich zu beenden.

„Don’t give users reading materials.”

Klaus stellte den Promise-Question-Answer (PQA)-Ansatz vor. Danach sollten Dokumente klar sagen, worum es geht. (Promise) Die Fragen auflisten, die das Dokument beantwortet. (Question) Diese dienen der Navigation des Dokuments. Die Antworten werden den Fragen zugeordnet. (Antwort)

Als Faustregel sagte er, dass Dokumente für Anwender:innen so geschrieben werden sollten, dass sie von Schüler:innen der 9. Klasse verstanden und genutzt werden können. Wenn es sich um Notfallanweisungen handelt, dann sinkt diese Daumenregel auf die 7. Klasse.

Jared Huke “UX in the Extreme: Ethnography in an Industrial setting”

Jared sprach über seine Erfahrungen beim UX Research in industriellen Kontexten, wie z.B. Atomkraftwerk oder Öl-Förderanlagen.

Die Planung und Vorbereitung von UX Research-Methoden in solchen Kontexten dauert gern mal 3 bis 12 Monate. Hohe Versicherungssummen sind nötig, damit man als externes Unternehmen überhaupt für Unternehmen in diesem Feld arbeiten darf. An jedem Ort braucht es eine:n Site Champion, der/die UX Research unterstützt, von allen Kolleg:innen akzeptiert wird, sehr viele kennt und die Verbindung zwischen UX Researcher:innen sowie Mitarbeitenden herstellt. UX Researcher:innen müssen entsprechend trainiert werden, um sich in solchen Umgebungen sicher bewegen und die Regularien einhalten zu können. Die Anreise kann sehr anspruchsvoll und mit vielen Hindernissen versehen sein. (z.B. anspruchsvolle Wege oder Sicherheitschecks)

Die Durchführung von UX Research-Studien vor Ort ist aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen, stressvollen Arbeitsumgebung, extremen Wetterbedingungen und der lauernden Gefahren ebenfalls sehr anspruchsvoll. Beispielsweise, wenn man Interviews mit Arbeiter:innen durchführt, die Container für Atommüll verschließen.

Damit die Studien gelingen, müssen UX Researcher:innen in die Unternehmenskultur einfügen und die Sprache der Mitarbeitenden sprechen. Sie müssen selbst akzeptiert werden. Es muss ihnen gelingen eine vertrauensvolle Verbindung zu den Mitarbeitenden aufzubauen, um überhaupt an wertvolle Erkenntnisse zu gelangen.

„Asking questions is easy. Getting insights is not.”

“Help me! Industrial Experience with Remote assistance” – Mario Schwaiger

Mario berichtet von seinen Erfahrungen bei der Entwicklung eines Gerätes für On-Site Remote Assistance in industrielle Umgebungen. Das Gerät soll Expert:innen bei der Reparatur und Wartung von Industrieanlagen unterstützen. Es verbindet sie mit einer Person, die dabei helfen kann. Das Team brauchte 4 komplette Versionen und eine Menge UX Research, um das Gerät zur Marktreife zu führen.

Seine Kernerkenntnisse aus diesem Entwicklungsprozess

  • Fokussiere Dein UX Research nicht auf das Produkt, sondern auf die Journey in der das Produkt genutzt wird.
  • Teste Dein Produkt nicht nur im Labor, sondern auch im echten Nutzungskontext.
  • Lass Dich nicht von der Faszination neuer Technologie oder Technik-Demos verführen. In der Praxis, insbesondere in stressigen Situationen in der Industrie, zählt am Ende vor allem der praktische Nutzen.
  • Konzentriere Dich auf das, was Du wirklich selbst bauen kannst und musst. Schaffe die Konnektivität und Modularität, dass Du Dinge von Partnern nutzen kannst, die eine bestimmte Anforderung besser umsetzen können.
  • Verstehe Deine Kund:innen und Deine Anwender:innen. (Ziele, Arbeitsweisen, Gruppen, Aufgaben, Arbeitsabläufe und Regularien im Unternehmen)

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