Die Wirkung von UX im Unternehmen erhöhen #experiencecampfire

Wenn es um die Etablierung von UX bzw. die Erhöhung des UX-Reifegrades geht, dann steht die Wirksamkeit der UXler:innen im Unternehmen im Mittelpunkt. Gerade am Anfang geht es darum, andere Personen im Unternehmen für die eigenen Ideen und Ansätze zu gewinnen.

In diesem Experience Campfire hatten wir den erfahrenen UX-Experten Remik Fierley zu Gast, der mit uns über seine Ansätze zur effektiven Etablierung von UX bei Siemens Healthineers gesprochen hat.

Remik ist seit 23 Jahren im Bereich UX tätig. Die meiste Zeit seiner Karriere hat er in Agenturen verbracht, wo er sich hauptsächlich auf UX-Research konzentrierte. Anfangs fokussierte er sich auf Research und Testing für mobile Geräte, Haushaltsgeräte und die Automobilindustrie. Schon früh entwickelte er ein Interesse daran, den Wert von UX sowohl für Kund:innen als auch für Unternehmen zu maximieren. Seine Karriere führte ihn vom Berater zum Teamleiter und später zu einem Strategieteam, das sich mit Geschäftsmodellen beschäftigte. Seit etwa zwei Jahren arbeitet er als strategischer Berater bei Siemens Healthineers. Dort arbeitet er in der zentralen Design- und UX-Abteilung innerhalb einer Matrixorganisation und berät verschiedene Geschäftseinheiten in UX-Fragen.

Warum fällt es UXler:innen bei Stakeholder:innen manchmal nicht so leicht für UX zu überzeugen?

Remik beobachtet 3 wesentliche Gründe für die Schwierigkeiten von UXler:innen im Umgang mit Stakeholder:innen:

  • UX ist eine junge Unternehmensfunktion und bei vielen Stakeholder:innen immer noch nicht gängig.
  • Die Definition von UX ist diffus.
  • UXler:innen verstehen sich manchmal als die alleinigen Kundenversteher:innen.

Auch wenn manche UXler:innen schon viele Jahre im UX-Bereich arbeiten, so ist UX im Vergleich zu anderen Unternehmensfunktionen noch recht jung. Marketing zum Beispiel wird von Unternehmen schon seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten eingesetzt. UXler:innen sollten sich daher immer wieder vor Augen führen, dass die meisten ihrer Stakeholder:innen nicht selbstverständlich damit umgehen. Es ist für viele noch neu und muss daher adressatengerecht erklärt werden. Dabei sollte es nicht nur darum gehen, was UX ist, sondern wie UX als Unternehmensfunktion dabei helfen kann, den Erfolg von Unternehmen und Stakeholder:in zu maximieren.

Dabei ist es leider wenig hilfreich, dass der Begriff “User Experience” nicht eindeutig ist. Die Definition von UX ist an sich schon recht diffus. Auf der einen Seite gibt es Definitionen aus Normen, z.B. DIN ISO 9241-210. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Rollen wie Design Thinker:innen und CX-Manager:innen, die seit ein paar Jahren eine etwas andere Auslegung von UX einbringen. Die meisten Stakeholder:innen nehmen sich nicht die Zeit, um eine eigene klare Definition für UX zu erarbeiten. Daher passiert es schnell, dass UXler:innen auf UI-Design und Usability reduziert werden. Darüber hinaus erschwert eine unklare Definition die Messbarkeit von UX.

“Wir als UX:ler:innen sollten in unserem Auftreten demütiger werden”.

UXler:innen verstehen sich selbst als die Versteher:innen der Anwender:innen. Dabei vergessen sie manchmal, dass auch andere Unternehmensfunktionen und Disziplinen ein gutes Verständnis der Anwender:innen haben. Wenn das passiert, kann es schnell so wirken, als würden UXler:innen aus einem Elfenbeinturm steigen und andere von oben herab überzeugen wollen. Auch andere Disziplinen können einen wichtigen Beitrag zu einer erfolgreichen User Experience zu leisten. Um gute UX zu schaffen, müssen laut Remik die verschiedenen Perspektiven gemeinsam berücksichtigt werden, wie z.B. Fachlichkeit, Technik, Research und Design.

Sein Ansatz für das Stakeholder-Management

Stakeholder-Management spielt im globalen UX-Team von Siemens Healthineers eine wichtige Rolle. Remik selbst sagt, dass er bis zu 50 Prozent seiner Arbeitszeit damit verbringt. Wenn ein neues Projekt ansteht, nimmt sich Remik die Zeit, intensiv zu erforschen, wer die Stakeholder:innen für das Projekt sind. Dabei geht es ihm vor allem darum, mit den richtigen Personen ins Gespräch zu kommen. Dabei interessiert ihn, was die Stakeholder:innen erreichen wollen und was er als UXler dazu beitragen kann.

“Wir wollen einen positiven Impact für die Nutzer:innen und das Unternehmen erreichen”.

Wichtige Stakeholder:innen sind für ihn Budget- oder Projektverantwortliche. Ein wichtiges Instrument für Remik sind daher Entscheidungsvorlagen. Mit diesen zeigt er auf, was das Unternehmen durch Investitionen in UX gewinnen oder durch den Verzicht darauf verlieren kann. Das ist ein wesentliches Instrument für seine Überzeugungsarbeit.

“Das gemeinsame Erleben ist zentral.”

Stakeholder-Management spielt sich viel auf der zwischenmenschlichen Ebene ab. Er versucht daher, Menschen zusammenzubringen – sei es physisch oder virtuell – und mit ihnen gemeinsam an UX-Themen zu arbeiten. Er hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass sich Kolleg:innen besser mit UX-Zielen identifizieren können, wenn sie diese selbst hergeleitet und erarbeitet haben. Die Erzeugung von Commitment durch Workshops ist jedoch kein Selbstläufer. Es erfordert eine gute Vorbereitung und Moderation seitens der UXler:innen, damit die Teilnehmenden selbst die richtigen Schlüsse ziehen können.

“Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir UXler:innen zu sehr auf unserer Sprache herum hüpfen”.

Remik erläutert, dass ein erfolgreiches Stakeholder-Management nur gelingen kann, wenn UXler:innen die Sprache ihrer Stakeholder verstehen und sprechen können. Die Verwendung von zu vielen UX-Fachbegriffen kann die Kommunikation erheblich erschweren.

“Unser Einfluss bleibt begrenzt, wenn wir nur von unten nach oben arbeiten”.

Das Ziel eines guten Stakeholdermanagements ist es, Stakeholder:innen so zu überzeugen, dass sie zu UX Advocat:innen bzw. Multiplikator:innen werden. Je höher ein:e Stakeholder:in dabei in der Hierarchie steht, um so hilfreicher ist das.

Strategieworkshops und Show Cases sind gute Mittel, um UX-Themen für das Management greifbar und verständlich zu machen. Bei Siemens Healthineers nutzt das Top-Management sogenannte “Gemba-Walks“, um sich regelmäßig in den Produktionsstätten anzuschauen, woran gerade gearbeitet wird. Das gibt den UXler:innen eine gute Gelegenheit, sich und ihre Arbeit zu zeigen.

Außerdem nutzt Remik gerne Mapping-Workshops, z.B. Jounrey Mapping, um Ziele und Erkenntnisse zu visualisieren, abzugleichen und zusammenzuführen. Gerade in großen Unternehmen wird viel geredet. Wenig wird jedoch konkret festgehalten und wirklich geklärt. Die Mitarbeitenden verlieren Zeit und Ressourcen, weil sie immer wieder die gleichen Runden drehen müssen. Hier können Mapping-Workshops helfen, aus Gesprächen eine solide Handlungsgrundlage zu generieren.

“Frage nicht nach Erlaubnis, bitte lieber um Vergebung”.

Abschließend ging er auf die generelle Vorgehensweise bei der Überzeugungsarbeit für UX ein. Er habe gute Erfahrungen damit gemacht, zunächst mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu beginnen. Mit Hilfe von Guerilla-Maßnahmen lassen sich bereits erste positive Ergebnisse generieren, die den Stakeholder:innen deutlich machen, warum es sich lohnt in UX zu investieren.

In der Diskussion im Campfire kristallisierten sich vier weitere Aspekte heraus:

Erstens: UX ist ein emotionales Thema und kann nicht nur logisch argumentiert werden. Die Runde war sich einig, dass Überzeugungsarbeit am einfachsten ist, wenn Stakeholder:innen selbst erleben können, wie die aktuelle UX ist bzw. was nicht funktioniert. Die Teilnahme z.B. an Usability-Tests und das eigene Erleben überzeugen manchmal von selbst.

Zweitens: Es ist ein guter Ansatz, Insights aus User Research in Runden mit Entscheider:innen offen zu teilen. Das erzeugt Aha-Momente und eröffnet neue Perspektiven. Schnell kann es passieren, dass in der Runde dann direkt Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden. Dieser Sprung vom Problemraum in den Lösungsraum kann nachteilig sein, weil Lösungsideen diskutiert werden, für die es vielleicht gar keinen Bedarf gibt. Eine Möglichkeit, damit gut umzugehen, ist, zunächst alle Ideen offen auf einem Ideenparkplatz zu sammeln. Wenn alle ihre Ideen losgeworden sind, kann der Blick auf den Problemraum gelenkt werden. Eine andere Möglichkeit für Gruppen, die es gewohnt sind, in Problem- und Lösungsräumen zu denken, besteht darin, von Anfang an bewusst eine Trennung zwischen Problem- und Lösungsraum in die Moderation einzubauen. Spontane Sprünge zwischen beiden Räumen können dann mit dem Hinweis auf die Prozessdisziplin gut adressiert werden.

Drittens: Wir haben die Situation diskutiert, dass ein Entwicklungsteam zwar testet, aber keine Zeit hat, die Ergebnisse umzusetzen, weil der Release-Termin schon feststeht. Manche Teams wollen in dieser Situation einfach nur hören, dass sie es so freigeben können. Remik begegnet dieser Situation zum einen so, dass er sich gut überlegt, ob für Teams in dieser Situation primärer UX-Research lohne, also die Durchfürung einer eigene Studie zum Beispiel. In der Regel versucht er, die Fragen des Teams durch sekundäres UX-Research und die Nutzung vorhandener Daten zu beantworten und dem Team bei der Release-Bewertung zu helfen. Zum anderen bereitet er auf Basis der Produktplanung bestimmte Research-Maßnahmen im Vorfeld vor, um Fragen kurzfristig beantworten zu können.

Viertens: Auch in dieser Runde wurde das Thema “ROI of UX” diskutiert. Das Fazit der Diskussion war, dass die Berechnung des ROI of UX nach wie vor eine schwierige Sache ist. Es gibt mittlerweile Unternehmen, die das tatsächlich können. Allerdings haben diese meist einen höheren UX-Reifegrad und benötigen diese Kennzahl gar nicht mehr, um grundsätzlich für UX zu überzeugen. Das liegt vor allem daran, dass die ROI-Berechnung nur funktioniert, wenn genügend Daten über UX und Geschäftsergebnisse vorhanden und auswertbar sind.  

Die Abschlussfrage

Abschließend stellte Tara die Frage an Remik: “Wie hat sich Siemens Healthineers durch deine Arbeit verändert?” Remik antwortet, dass er sich bei seinem Start in der neuen Position vorgenommen hat, die Nutzereinbindung und Kundenzentrierung zu stärken und UX auf Augenhöhe mit den Business-Partnern zu bringen. Seiner Erfahrung nach gelingt das in großen Unternehmen nicht von heute auf morgen. Es ist ein langer Prozess, der viel Geduld und Ausdauer erfordert. Bei Siemens Healthineers sieht er große Fortschritte in Sachen UX. Dem Unternehmen gelingt es immer besser, tolle Produkte zu liefern, die einen positiven Einfluss auf die Anwender:innen haben.

Vielen Dank

Vielen Dank, Remik, für das Teilen Deiner Erfahrungen und Best Practices, vielen Dank an alle Teilnehmenden für die spannende Diskussion sowie vielen Dank an Ergosign und cxomni für die Unterstützung dieses Experience Campfire.

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