So bringst Du Deinem Unternehmen Barrierefreiheit bei #experiencecampfire

Digitale Barrierefreiheit war das Thema unseres Experience Campfire im März. Wir haben zusammen mit Stefan Farnetani von mindscreen und Teilnehmenden aus unterschiedlichen Unternehmen darüber diskutiert, wie digitale Barrierefreiheit in Unternehmen etabliert werden kann.

Bevor es um konkrete Best Practices ging, haben wir zunächst geklärt, was digitale Barrierefreiheit eigentlich ist. Das klingt bei einem so prominenten Begriff seltsam, ist aber tatsächlich wichtig. Es gibt verschiedene Standards und damit Definitionen für digitale Barrierefreiheit. Gemeinsam ist ihnen, dass sie gestalterische, inhaltliche und technische Anforderungen definieren, um digitale Barrierefreiheit messbar zu machen.

Auch wenn es wichtig ist, entlang klar definierter Anforderungen zu arbeiten, ist es entscheidend, einen umfassenderen Blick auf das Thema zu werfen. Stefan verwendet dafür folgende Definition in den Trainings:

“Jede Person soll in der Lage sein

selbstständig,
wann sie will,
mit vergleichbarem Zeitaufwand & mit dem gleichen Ergebnis,

ein digitales Produkt zu nutzen.”

Diese Definition stellt Zielgruppe und Produkt-Kontext in den Mittelpunkt. In ihr steckt aber auch ein hoher Anspruch. In der Diskussion um grundlegende Entscheidungen zur digitalen Barrierefreiheit kann dieser hohe Anspruch, zumindest ganz am Anfang, hinderlich sein. 

Es ist wichtig, diesen Grundsatz oder Axiom der digitalen Barrierefreiheit zu verankern. Auch wenn die gesetzlichen Anforderungen aus der EN 301 549 oder der Umfang an umzusetzenden Produkten durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz deutlich geringer sind. Man muss sich bewusst machen, dass die gesetzlichen Anforderungen Mindestanforderungen sind. 

Stefan beobachtet, dass aus Sorgen vor ungewissen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen, in Unternehmen oft zu schnell mit “Verhältnismäßigkeit” argumentiert wird, z.B. mit Aussagen wie “Blinde nutzen nicht unser Produkt” oder “Es gibt ja eine Alternative”. In zu vielen Fällen wird aus Unwissenheit oder Panik zu schnell abgeblockt. Es ist wichtig, dass sich Unternehmen bei Entscheidungen zur digitalen Barrierefreiheit Unterstützung von Betroffenen oder eben Barrierefreiheit-Expert:innen holen.

Unternehmen, die ihre Fähigkeiten in Sachen digitale Barrierefreiheit stärken wollen, sollten sich mit nachfolgenden Themen beschäftigen:

  • Bewusstsein für Barrierefreiheit: Den Mitarbeitenden sollte klar sein, was digitale Barrierefreiheit für das Unternehmen bedeutet. Die digitale Barrierefreiheit sollte positiv besetzt werden und Abwehrhaltungen damit abgebaut werden. Insbesondere der Bezug zur baulichen Barrierefreiheit kann dazu führen, dass Barrierefreiheit bei manchen Personen negativ besetzt ist.
  • Kompetenzen für Barrierefreiheit: Die Mitarbeitenden sollten wissen, was Barrierefreiheit für ihre Arbeit, also für ihre Rolle und ihre Aufgaben, konkret bedeutet. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Fähigkeit zum Testen auf Barrierefreiheit ein. Mitarbeitende sollten in der Lage sein, die Barrierefreiheit ihrer Arbeitsergebnisse beispielsweise mithilfe von Screenreadern oder dem “Accessibility-Tree” des Browsers selbst zu testen. Wichtig ist, die Testgrundlagen so gut zu vermitteln, dass am Ende nicht nur auf das Testwerkzeug, z.B. Screenreader, optimiert wird.
  • Klare Entscheidung für Barrierefreiheit: Das Management des Unternehmens muss ein klares Signal für Barrierefreiheit setzen. Es müssen Zeit- und Kostenbudget für die Erbringung der nötigen Aufwände entschieden werden.
  • Prozesse: Barrierefreiheit muss in alle wesentlichen Geschäftsprozesse von der Produktentwicklung bis zum Einkauf integriert werden.

Barrierefreiheit ist Teamarbeit. Wir haben im Experience Campfire daher darüber diskutiert, wie sich die nötigen Kompentenzen im Team aufbauen lassen. Es gibt allerdings nicht das EINE Konzept. In manchen Unternehmen ist es der richtige Weg eine eigene Rolle für Barrierefreiheit in die Teams zu integrieren. In den meisten Unternehmen wird es der beste Weg sein, Barrierefreiheit über eine Zusatzrolle einzuführen, welche die Mitarbeitende neben ihrer Rolle übernehmen. In jedem Fall sollte aber dafür gesorgt werden, dass sich Mitarbeitende für Barrierefreiheit verantwortlich fühlen. Wenn in allen Disziplinen eines Teams die Barrierefreiheit berücksichtigt wird, entsteht ein Produkt ohne Barrieren. Aus dem Kreis der Teilnehmenden kamen folgende Anregungen, was das für einzelne Rollen beispielsweise bedeuten kann:

  • Product Owner:innen: Wichtigkeit von Anforderungen an Barrierefreiheit kennen und eine barrierefreie Umsetzung beauftragen
  • UX-Designer: Barrierefreiheit in konzeptionellen und gestalterischen Gestaltungsaspekten berücksichtigen
  • Entwickler:innen: Assistive Techniken wie Screenreader sowie Betriebssystem-Standards für Barrierefreiheit unterstützen
  • Tester:innen: manuelle und automatische Barrierefreiheitsprüfung in Testverfahren einplanen
  • Redakteur:innen: Überschriftsstrukturen, Aussagekräftige Links, einfache Texte und ALT-Tags für Bilder

“Barrierefreiheit ist für jeden nützlich, wenn nicht heute spätestens morgen.”

Teilnehmende des Experience Campfires

Bei mindscreen nutzt Stefan für die Etablierung von Barrierefreiheit in Unternehmen ein eigenes Reifegradmodell für digitale Barrierefreiheit. Dieses umfasst die 8 Dimensionen:

  • Barrierefreiheitsstrategie
  • Kultur und Verständnis
  • Prozesse und Abläufe
  • Infrastruktur & Ressourcen
  • Wissen & Fähigkeiten
  • Testen auf Barrierefreiheit
  • Beschaffung
  • Kundensupport
Grafik zeigt das Reifegradmodell für Barrierefreiheit mit den Dimensionen Barrierefreiheitsstrategie, Kultur und Verständnis, Prozesse und Abläufe, Infrastruktur & Ressourcen, Wissen & Fähigkeiten, Testen auf Barrierefreiheit, Beschaffung, Kundensupport sowie 6 Stufen von 0 bis 6.

Die 5 Stufen je Dimension reichen von barrierefreiheits-feindlich bis zu „Kontinuierliche Verbesserung“. 

Grafik zeigt 6 Reifegradstufen. Level 0 = Keine Barrierefreiheit, Level 1 = Ad hoc, Level 2 = Organisiert, Level 3 = Definierte Prozesse, Level 4 = Integriert & messbar, Level 5 = kontinuierliche Verbesserung

Zur Messung des Reifegrades können Workshops, Interviews oder Umfrage im Unternehmen durchgeführt werden. Das hat neben der Ermittlung des Status Quo auch gleich einen Sensibilisierungseffekt bei den Interviewten. Die Ergebnisse der Reifenradermittlung empfiehlt er zielgruppengerecht zu visualisieren, damit sie gut kommuniziert werden können.

Zum Abschluss habe ich Stefan die Frage gestellt, worauf sich Unternehmen in Sachen digitale Barrierefreiheit einstellen sollten. Seine Antwort: 

“Barrierefreiheit ist gekommen, um zu bleiben. Von jetzt an bis zur beruflichen Rente wird digitale Barrierefreiheit ein Aspekt unserer Arbeit sein. Und je älter man wird, desto mehr profitiert man selbst davon.”

Stefan Farnetani, mindscreen

Vielen Dank, Stefan, für Deinen Impuls im Experience Campfire. Vielen Dank auch an alle Teilnehmenden fürs Wissen teilen und Mitdiskutieren. Und ein dickes Dankeschön an unsere Sponsoren UX&I und cxomni für die Unterstützung.

Mehr über digitale Barrierefreiheit erfahren

Mehr Veranstaltungen zum Thema “Digitale Barrierefreiheit” findest Du bei mindscreen.

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